Tiere werden nur deshalb qualvoll gehalten und gegessen, weil wir Menschen uns für etwas Besonderes halten – mit dieser Formel wollen Ethiker wie Peter Singer und Tierrechtsaktivisten das Leiden der Nutztiere beenden. Was als Äußerung von Mitgefühl verständlich wirkt, zeigt sich bei näherer Betrachtung als fataler Rückschritt in der Entwicklung der Ethik: Denn mit der Erosion des Mensch-Tier-Unterschieds werden zwar Schimpansen und Delfine zu Personen erklärt, die am meisten schutzbedürftigen Menschen aber fallen aus dem Rahmen der Grundrechte heraus. Eine kritische Auseinandersetzung mit der Ideologie der „Anti-Speziesisten“.
Immer wieder machen im Internet Meldungen Furore, denen zufolge in Indien oder Florida Delfinshows ab sofort verboten seien. Begründung: Gerichte hätten Delfine endlich „als Personen anerkannt“. „Die Delfine in Indien haben nun einen Status, den wir auch allen anderen fühlenden Lebewesen auf der Welt wünschen“, verkündet etwa die Website von Animalequality. Was ist an solchen Meldungen dran? Sicher bedeutet es einen Fortschritt, wenn diese wunderbaren Meeressäuger, die jeden Tag Kilometer weit die Ozeane durchpflügen, nicht länger eingepfercht in Swimmingpools leben müssen. Zweifelhaft wirkt aber die Begründung, die von dieser und anderen Tierschützer-Websites (manchmal auch in Bezug auf Primaten) verbreitet und weltweit gedankenlos weitergeleitet wird: Zwar sind uns Delfine oder auch Menschenaffen mit ihrem erstaunlichen Kommunikationsvermögen und ihrer anrührenden Heiterkeit sehr nah. Aber sind sie deshalb „Personen“? Und – so sehr wir auch jeden Schritt hin zu weniger Qual und Ausbeutung von Tieren begrüßen sollten – müssen wir erst Delfine zu „nicht menschlichen Personen” erklären, um auf ihre quälerische Zurschaustellung zu verzichten?
Bumerang „Anthropozentrik“
Die Aufhebung der Grenze zwischen Mensch und Tier steht als Programm hinter fast allen Tierrechtsaktivitäten, und auch in Teilen der veganen Bewegung wird diese Botschaft oft unkritisch weitergetragen. Philosophisch bündelt sie sich in dem sperrigen Programmbegriff des „Anti-Speziesismus“. Dieser Richtung zufolge ist die Reklamation eines besonderen Status des Menschen als Gattung durch nichts zu rechtfertigen und stellt lediglich einen autoritären Akt dar, ähnlich wie auch beim Imperialismus, Rassismus oder Sexismus eine herrschende Gruppe sich eine angebliche Überlegenheit selber zuschreibt, um andere unterdrücken zu können. Der Anti-Speziesismus versteht sich demnach als konsequente Stufe eines umfassenden Emanzipationsprozesses.
Nach alldem, was durch den Menschen an geschichtlichen Untaten untereinander, an Frevel an seinen Mitgeschöpfen und an Rücksichtslosigkeit gegenüber dem Planeten Erde geschehen ist und weiter geschieht, scheint es aussichtslos, gegenüber dem Anti-Speziesismus einen moralischen Sonderstatus des Menschen zu verteidigen. Philosophische Versuche, die Kriterien von Selbstbewusstsein, Freiheit, Vernunft und Verantwortungsfähigkeit als genuin menschliche Fähigkeiten zu reklamieren, werden in Diskussionen durch Verweis auf diesen oder jenen erstaunlichen wissenschaftlichen Beleg über kulturellen Fähigkeiten von Tieren rasch abgetan. Vor allem aber führt das praktische Versagen der Gattung Mensch jeden Anspruch auf einen Sonderstatus ad absurdum. Die hergebrachte humane Ethik sei eben letzten Endes anthropozentrisch, so die vernichtende Antwort, so wie auch der Speziesismus anthropozentrisch sei.
Der Speziesismus-Vorwurf geht allerdings mit einem unvermeidlichen Bumerang-Effekt einher: Denn es ist nun einmal der Grundzug von uns Menschen, dass wir uns – eben darin anders als jedes Tier und schon von Beginn aller Menschwerdung an so unbegreiflich anders – aus der Welt heraus- und uns ihr gegenüberstellen, uns Gedanken über sie und unsere Stellung in ihr machen, nach Zusammenhängen suchen, die den Tieren so unmittelbar gegeben sind, dass sie nur ihrem Wesen folgen müssen, um fraglos zufrieden zu sein. Mit dem Gegebenen aber gibt sich kein Mensch zufrieden. Menschen müssen denken. Und selbst der Gedanke, dass wir alles nur nach Maßgabe unseres Menschseins betrachten und beurteilen, ist vom Zentrum des Menschseins aus gedacht, mithin anthropozentrisch. Schließlich entspringt ja auch der Anti-Speziesismus nicht einem Emanzipationsdrang der Tiere, sondern ist Resultat einer spezifisch menschlichen Selbstreflexion, die seine Stellung im Ganzen der Welt betrifft. Den anthropozentrischen Fluch wollen wir los werden, der Mensch soll nichts Besonderes mehr sein gegenüber dem Tier, und doch sollen um alles in der Welt Tiere den gleichen, hohen Rang haben wie er, den er doch angeblich gar nicht verdient – wie viel Selbsthass auf die Menschheit steckt eigentlich im Anti-Speziesismus?
Tiere schützen – und Menschen mit Behinderung töten?
Wie eng das Bemühen um eine Erweiterung der Tierethik und die faktische Einschränkung der Ethik gegenüber dem Menschen systematisch verzahnt sind, zeigt sich im Werk des australischen Tierrechtlers Peter Singer. Die vielfach kritisierten behindertenfeindlichen Schlüsse von Singer sind dabei keineswegs Missverständnisse seiner Lehre, sondern nachlesbare Ungeheuerlichkeiten und vor allem logische Konsequenz seiner Leidvermeidungs-Ethik, die bereits seit seinem Mitte der 1980er Jahre erschienenen Buch Praktische Ethik öffentlich vorliegt. Seither hat sich an den Eckpfeilern seiner Philosophie nichts geändert: Weil es keine rational konsensfähige Basis für Ethik gibt, soll nach Singer der einzig akzeptable gemeinsame Nenner ethischen Verhaltens das Vermeiden oder zumindest Verringern von Leid sein. Daran hätten alle Lebewesen – nicht allein Menschen, sondern auch „nicht-menschliche Personen“ – ein Interesse. Nicht mehr zwischen Mensch und Tier soll also die rote Linie verlaufen, sondern zwischen Interessenfähigkeit und -unfähigkeit. Wer kein Bewusstsein seiner Interessen hat, auf den muss allerdings auch nicht länger Rücksicht genommen werden. Damit entstehen Grauzonen vor allem am Lebensanfang und Lebensende von Menschen, aber auch dort, wo Menschen physische oder geistige Beeinträchtigungen mit ins Leben bringen. Und die Frage, ob ein behinderter Mensch wohl Interesse an einem Leben hätte, dessen Verlauf man mehr Leid unterstellt als einem „normalen“, beantwortet Singer im Namen der Betroffenen mit der Empfehlung, dass Eltern im Falle einer entsprechenden Diagnose doch besser die Schwangerschaft abbrechen und auf ein nicht-behindertes Kind warten sollten – die Summe des Leids wäre dann geringer.
Mehr als Rationalität
Der Erfolg der Philosophie Singers und der Animal Rights-Aktivisten, der sich nicht zuletzt in den unkritischen „Gefällt mir“-Klicks für die Delfin-Personen auf Facebook spiegelt, erklärt sich aus zweierlei: Zum einen ist das Tötungsverbot unter Menschen nach dem Abschmelzen seiner religiös-metaphysischen Fundamente tatsächlich nur noch schwer zu begründen, zum anderen ist das schlechte Gewissen des Menschen über sich selbst angesichts seines frevlerischen Umgangs mit Tieren mehr als berechtigt. In dieser Gemengelage übt die Singer’sche Leidvermeidungs-Ethik einen starken Sog aus. Demgegenüber wird es, nüchtern besehen, auch in Zukunft keinen rein rationalen Grund dafür geben, Menschen mit Behinderung das volle Lebensrecht zuzugestehen und die Zumutung eines Tötens aus Mitleid zurückzuweisen als den historisch – zum Teil durch schreckliche Erfahrungen – gewachsenen und gesellschaftlich kodifizierten Willen, auch und gerade den schwächsten Mitgliedern unserer Gattung den Schutz der Menschenrechte zuzugestehen. Den Menschen als personhaft von Beginn an zu betrachten, als auf Entfaltung angelegte, untrennbar leiblich-geistige Einheit – selbstverständlich auch im Falle von Behinderungen –, ist nicht als rationale Begründung zu haben und lohnt dennoch philosophisch verteidigt zu werden. Die Tiere aber sollten wir nicht aus Mitgefühl zu Menschen machen, sondern sie als das sehen, was sie für sich sind: ihrer selbst nicht bewusste, aber intensiv fühlende Wesen, für die es keine Tier-Rechte, jedoch einen erheblich erweiterten Tier-Schutz geben muss, der ihrer eigenen Würde gerecht wird.