In unserem beschaulichen Frankfurter Vorort Niederursel am nördlichen Stadtrand werden wir jedes Jahr mit einem besonderen Naturschauspiel beschenkt: Irgendwann im Frühling, spätestens Ende April, kehren die Nachtigallen zurück. Vom frühen Morgen – sofern wir ihren Gesang erkennen – bis tief in die Nacht hinein können wir dann die größten Sänger in der Tierwelt bewundern. Die überaus scheuen, nur spatzengroßen Vögel sehen äußerlich unscheinbar aus, wenn man sie denn überhaupt zu sehen bekommt. Mit ihren tiefen, oft an ein Schluchzen erinnernden Strophen singen sie aber variantenreicher, kunstvoller und anrührender als alles Vergleichbare. „Früher galt der Gesang der Nachtigall als schmerzlindernd und sollte dem Sterbenden einen sanften Tod und dem Kranken eine rasche Genesung bringen“, lese ich dazu bei Wikipedia. Ja, etwas Geheimnisvolles umgibt sie.
Bewundernswert finde ich aber nicht nur die Schönheit ihres Gesangs, sondern auch ihre Standhaftigkeit angesichts der zunehmenden Zerstörung ihres Lebensraums. Entlang der Wiesen, Obstbäume und Sträucher im Umfeld des Urselbachs, der hier vom Taunus im Norden kommend Richtung Nidda und Main fließt, hatten die Nachtigallen früher ein herrliches Revier. Heute muss sich ihr Gesang gegen den Lärm der Flugzeuge und des auch nachts nie abschwellenden Lärms der A 5 behaupten, die hier heute das Tal kreuzt. Das heutige Siedlungsgebiet der Nachtigallen, die hier immer noch in fast regelmäßigen Abständen von rund 800 Metern jedes Jahr standorttreu ihr Revier wiederbeziehen, wird außerdem zerteilt von einer Schnellstraße. Zusätzlich zu der Schienenstrecke nach Oberursel schneidet zudem seit kurzem noch eine neue U-Bahnlinie die Landschaft und eine weitere ist in Planung. Der schnell wachsende Unicampus und der neue Stadtteil Riedberg tun ihr übriges.
Dennoch: Die Meistersänger haben bisher allen Widrigkeiten getrotzt, scheinen Lärm, Bauarbeiten und Verkehr um sie herum zu ignorieren, solange sie bei ihrer Rückkehr aus dem Süden noch ein unzugängliches Versteck in dichtem Gesträuch vorfinden. Dort sitzen sie, ohne je gesehen zu werden, und erfüllen den ganzen Umkreis mit ihrem Klang. Und besonders nachts, wenn der Sehsinn für uns seine Dominanz verliert und wir zu Lauschenden werden, scheint uns ihr Singen in eine andere Welt zu versetzen, in der man die Übergriffe der Zivilisation für Momente vergisst.